Sturmgeister

Letzte Nacht dauert mein Dienst wegen der Zeitumstellung eine Stunde länger, also 10,5 Stunden. Die ganze Nacht tobte der Sturm um die Klinik. Morgens auf dem Weg zum Auto stieg ich über abgebrochene Äste und watete in Laub. Auf der Straße an der Hörn lag ein Bauzaun. Kurz vor Zuhause lag ein Baum auf der Straße. Ich wendete und versuchte, über die wegen Straßenarbeiten seit zwei Wochen gesperrte Straße durch Selent nach Hause zu kommen. Als ich die erste Absperrung passiert hatte, stand ein Feuerwehrauto mit blinkendem Blaulicht mitten auf der Straße, dahinter waren Feuerwehrleute mit einem weiteren liegenden Baum beschäftigt.
Also erneut wenden und auf eine kleine Straße Richtung Martensrade fahren. Nach kurzer Zeit verriegelte auch hier ein liegender Baum den Weg. Wieder zurück auf die Bundesstraße Richtung Kiel, um im großen Bogen nach Hause zu fahren. Ich kam ziemlich weit, aber kurz hinter Stellböken kam mir ein Auto im Rückwärtsgang entgegen. Ich ahnte warum, stieg aber trotzdem aus. Der Fahrer des Wagens kam mir entgegen und brüllte durch das Tosen des Sturms, daß ein Baum auf der Straße läge. Allmählich spürte ich wachsende Verzweiflung: ich musste dringend aufs Klo und hatte große Sehnsucht nach meinem Bett. Rückwärtsgang und neuer Versuch über Marienhorst. Das ist eher ein Feldweg und ich mutete meinem kleinen Auto einiges zu, während ich über zertrümmerte Äste und durch wassergefüllte Schlaglöcher fuhr. Ich schaffte es bis auf die Landstraße. Da kam mir das Auto eines Mannes aus meinem Dorf entgegen. Große Erleichterung: wenn er rausgekommen war, würde ich reinkommen.
Zuhause war alles in Ordnung: die Bienen standen noch auf ihrem Platz, die Bäume sahen ziemlich entlaubt aus und Laub muss ich jetzt auch nicht mehr harken, weil der kosmische Laubbläser das schon erledigt hat. Durch das Brausen des Windes hörte ich die Sirenen heulen. Ich war in diesem Moment sehr dankbar für die freiwillige Feuerwehr. Überhaupt glaube ich, wenn es nicht soviele Menschen gäbe, die freiwillig und unentgeltlich arbeiten, würde alles zerbröseln.
Ich legte mich ins Bett und schlief, die Katze an meinen Bauch geschmiegt, tief und fest bis 14:00.

Nachmittag - die Ruhe nach dem Sturm
Am Beispiel der Sommerzeit fällt mir etwas auf: sie wurde ja eingerichtet, weil man sich Einsparung von Energie davon versprach. Das hat sich nachweislich nicht erfüllt. Seitdem äußern sich jedes Jahr pünktlich im März und im Oktober irgendwelche Experten über den Unsinn der Zeitumstellung, den Schaden, den sie unserem Biorhythmus zufügt, den Stress, den die Bauern mit ihren Kühen und den veränderten Melkzeiten und Eltern mit kleinen Kindern haben. Letzteres kann ich bestätigen, und auch ich brauche im März immer eine ganze Zeit mich umzugewöhnen.
Jetzt könnte man ja meinen: wenn die Zeitumstellung nichts bringt und sogar schadet, kann man damit ja aufhören. Tut man aber nicht, warum auch immer. Man fährt fort mit dem schädlichen Verhalten. Das scheint in unserem Land (und sicher auch in anderen Ländern) ganz typisch zu sein. Es gibt soviel, was sich als schädlich herausgestellt hat, aber es wird einfach weiter gemacht. Ob das nun Glyphosat ist oder Massentierhaltung, der Bau von dicken SUVs mit enormem Spritverbrauch, die Anwendung von Antibiotika bei jedem harmlosen Infekt usw.
Und zu den Sturmgeistern, die immer häufiger wüten und toben, fällt mir der Song Angry Planet von New Model Army ein: https://www.youtube.com/watch?v=4IDH1MhktKQ

Marie-Luise - 29. Okt, 23:46